Immobilienfachwirtin & Autorin
Sindy Schwarzer

Verunglückter Abschied ...

Freitag, 22. Februar

Der Tag der Beisetzung ist da. Vier lange Wochen und ein unruhiges Leben werden heute ihren Abschluss finden. Ich habe frei und werde um halb neun wach. Es ist ein trüber, grauer aber trockener Wintertag.

Fieberhaft überlege ich, was ich anziehen soll. Max fragt mich das auch. „Du brauchst nicht in schwarz zu gehen, Susanne macht das bestimmt auch nicht.“ Für mich steht jedoch fest, dass heute nichts Farbenfrohes an mir zu sehen sein wird, obwohl ich nicht der Meinung bin, dass man nur in schwarz gekleidet seiner Trauer Ausdruck verleihen kann.

Um halb zwei holen wir Johanna ab und dann beginnt die Fahrt, die sich zieht wie Kaugummi. Von Wiesbaden aus sind es mehr als sechzig Kilometer über Land. Dementsprechend spät wird es, als wir uns kurz vor dem Ziel total verfahren. Ich sehe uns schon die ganze Veranstaltung verpassen und rufe: „Das passt! Er ist ja auch immer und überall zu spät gekommen“. „Oder gar nicht“, ergänzt Johanna und lacht. Drei Minuten bevor es losgehen soll, erreichen wir das Krematorium. Im Prospekt hat alles viel schöner ausgesehen, aber das liegt wohl auch an der Jahreszeit und dem trüben Wetter. Susanne kommt uns entgegen. Sie ist komplett in schwarz gekleidet, was mich nun nicht mehr überrascht, wenn ich an das Gespräch bezüglich des Kinos denke. Sie beugt sich in gewisser Weise der Tradition oder ihr ist einfach auch nach Schwarz.
...
Eine kleine Trauergemeinde schiebt sich nun langsam in diesen Raum. Er ist mit Kunstblumen geschmückt, die heute nicht so hässlich auf mich wirken wie sie das sonst tun. Das liegt wahrscheinlich an der Ausnahmesituation, in der sich alle Angehörigen in einem solchen Moment befinden. Es brennen Kerzen. In der Mitte auf einem Tisch steht die Urne. Im Hintergrund wird ein Opernstück eingespielt. Eine Frau singt. Immer noch besser als Orgelmusik! Mir kommen die Tränen bei dem Gedanken, dass ein stattlicher Mann oder auch das wilde Tier in dieser „kleinen Dose“ Platz gefunden hat. Papi, was ist aus Dir geworden?

Die Minuten rauschen wie ein Film vorbei und dann kommt auch schon der Mitarbeiter des Krematoriums, verbeugt sich vor der Urne und nimmt sie an sich. Wir folgen ihm zu dem für meinen Vater vorgesehen Platz auf dem Rasenfriedhof. Obwohl ich meine Brille nicht aufhabe, kann ich die Stelle schon von Weitem ausmachen. Am Rand des Grundstücks an einem Zaun steht ein Strommast. Wie passend ist dieser Platz! Er stand ja auch immer unter Strom.
   Die Urne wird auf einem kleinen Tisch neben dem Erdloch abgestellt. Ich gehe nach vorn, weil mich interessiert, ob auf dem Deckel der Name steht. Ich erkenne ein Geburtsdatum und ein weiteres Datum, vermutlich das Datum der Bestattung. Der Aufkleber weist als Geburtsdatum den 09.10.1934 aus (bei dem Tag möchte ich mich nicht so festlegen) und dabei schießt mir durch den Kopf `Das kann doch nicht sein, das ist die falsche Urne!` Oder ist es bei einer anonymen Bestattung egal, wessen Urne wo in der Erde versenkt wird? Fragen über Fragen. Alles dreht sich in meinem Kopf. Mein Herz schlägt schneller, mein Puls tobt während ich überlege, ob ich meine Entdeckung preisgeben soll. Bin ich dazu nicht sogar verpflichtet? In Sekundenbruchteilen entscheide ich das nicht zu tun. Zum einen weiß ich nicht, wie die Kinder und Susanne reagieren würden. Und zum anderen will ich nicht, dass es einen Riesenaufstand am offenen Grab gibt. Obwohl Wirbel und Aufstände waren eigentlich immer das, was meinen Vater ausgemacht hat.